31.8.05

St. Lukas Fredenbeck

Der Abschied war ganz still und unspektakulär. Am letzten Sonnabend des gerade vergangenen Jahres besuchten ein paar Dutzend Katholiken zum letzten Mal die Vorabendmesse in der kleinen St. Lukas-Kirche in Fredenbeck. Bis Ende März soll sie abgerissen werden.

„Das war schon eine eigenartige Stimmung beim letzten Gottesdienst“, gesteht Wolfgang Voges, Pfarrer der katholischen Heilig-Geist-Gemeinde in Stade, ein. St. Lukas ist die zweite Kirche im Bistum Hildesheim, die aus Finanznöten geschlossen wurde. „Und es werden noch mehr folgen“, sagt Voges voraus.

Rund 1000 Gemeindemitglieder zählt die Statistik auch heute noch in Fredenbeck. Doch zu den Vorabendmessen am Sonnabend kamen gerade mal 30 Kirchgänger, davon nur ein kleiner Teil aus Fredenbeck selbst. Und so habe es gegen die Entscheidung, die Kirche zu verkaufen, keinen Widerspruch gegeben, so der Pfarrer.

„Die meisten Fredenbecker fahren ohnehin zum Gottesdienst nach Stade“, sagt Voges. Mehr als zwei Jahre habe er das beobachtet, denn der anstehende Verkauf der Kirche war für ihn kein leichter Schritt. [Stader Tageblatt, 8. Januar 2004]
Dass es keinen Widerspruch gegeben habe, würde ich nicht sagen.

Nicht viel mehr als 30 Jahre überstand St. Lukas in Fredenbeck. Die Kirche hatte, einem rührigen Orgelbauverein sei Dank, zum Schluss sogar noch eine kleine Orgel bekommen, die heute in St. Josef (Stade) gespielt wird. Der Altar und das aus dem gleichen Stein gehauene Ambo stehen heute, selten genutzt, vor St. Josef im Freien.

  • „Wir fahren jetzt nicht mit der Abrissbirne durchs Bistum“ [Kirchenzeitung, Januar 2004]
  • Abrissbirne für St. Lukas [Hamburger Abendblatt, 14. Januar 2004]

Wenn die ultima ratio zum Alltag wird...

Wolfgang Pehnt in der FAZ mit einem ausführlichen Hintergrundartikel zum deutschen Kirchensterben.

Nichts ist mehr, wie es war, auch wenn es manchmal noch so scheint. Das sagt nicht ein außenstehender Beobachter der Kirchen, sondern Ruhrbischof Felix Genn.

Anfang des Jahres fuhr er vor den Priestern und Diakonen seiner Diözese fort: Die Kirche habe ihr Monopol als lebensorientierende Instanz verloren. Von einer religiösen Schicksalsgemeinschaft, in die man unentrinnbar hineingeboren wurde, sei sie zum Anbieter auf dem Markt von Religion und Lebenssinn geworden. Die Tatsachen scheinen für sich zu sprechen: Die Zahl der Kirchenmitglieder und Gottesdienstbesucher geht kontinuierlich zurück, die Kirchensteuern ebenso. Die Haushaltslage der Diözesen ist desolat. Pfarrgemeinden werden zusammengelegt, Mitarbeiter entlassen. Und es werden Kirchengebäude geschlossen, verkauft oder abgerissen. Was die „Handreichung” der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, die sich vor zwei Jahren mit der Umnutzung von Gotteshäusern beschäftigte, noch als Ultima ratio bezeichnete, entwickelt sich zum fast alltäglichen Fall.

Eben traf es St. Raphael im Berliner Vorort Gatow, den einzigen Sakralbau, den der große Kirchenbauer Rudolf Schwarz für Berlin entworfen hatte und der einem Supermarkt Platz machen mußte. Schon liegt die Abrißgenehmigung für St. Johannes Capristan in Tempelhof vor, einen Bau von Reinhard Hofbauer, den bisher die polnische Gemeinde nutzte. Für September ist in St. Agnes in Kreuzberg ein „Entwidmungsgottesdienst” anberaumt, mit dem sich die katholische Kirche von ihren Kultstätten verabschiedet. Im Werk des Architekten Werner Düttmann stellt - oder muß man schon sagen: stellte? - St. Agnes einen Höhepunkt dar.
Vorher bereits, am 12.7.05, kurz nach dem Abriß von St. Raphael in Berlin-Gatow, schrieb bat alias Dieter Bartetzko einen Feuilletonkommentar und schloß:

Der Raum, in dem nur wahre Worte möglich sein sollten, wird gar nicht mehr vermißt, und als letzte Wahrheit, durch den Abriß beglaubigt, bleibt das grausig umgemünzte Christuswort "Laßt die Toten ihre Toten begraben".

Materialien

Umnutzung von Kirchen: Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen
Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
24. September 2003

Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung von gottesdienstlichen Räumen
Handreichung der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz
25. Oktober 1988 - 5. überarbeitete und erweiterte Auflage 2000

Einladung

Manchmal braucht es den gewissen Anstoß von außen. Heute wünscht sich Martin ein eigenes Blog zum Thema "Kirchensterben", und so starte ich dieses Blog, das schon ein paar Tage in Arbeit ist, mit Zittern und Zagen. Das Thema ist heiß, umstritten - und traurig. So oder so.